ANHANG – Urtheil über meine Gemeine Rüdigershagen

In der Gemeine Rüdigershagen ist bei dem vorherrschenden Handeltreiben der Geist des Uebervortheilens, des Eigennutzes und dem Intrigue unangenehm hervorstehend, und handelt es sich um Gewinnst, so wird das 3. Gebot auch eben nicht heilig gehalten, wozu noch kommt, daß die Wirtshäuser Kadars laue Hütten für die Handelsleute sind, wo sie am liebsten bei dem balsamischen Fuselduft Handelsgeschäfte machen. Sie sagen: Es geht nicht anders, wir müssen in die Wirtshäuser gehen! Bei äußerm Anstände, Gewandtheit im Reden und einer gewissen honetten Denkungsart haben jedoch die Rüdigershagener immer ein heimliches Gedankenspiel für sich, wobei sie nicht selten im Trüben fischen. Außerdem findet das 7. Gebot leider häufige Übertretung im Holzdiebstahl, bei welcher Gelegenheit die Schlechtigkeit einzelner gefährlich für die Forstschutzbeamten hervortritt. Im Abtragen ihrer Schuldigkeit sind nicht wenige recht pünktlich und der Executer kommt bei wenig Proceßsucht nicht häufig ins Dorf. Zänkische Ehen gibt es mehrere. – Auf der ändern Seite ist in der Gemeine Rüdigershagen sehr erfreulich die Liebe zum Gotteshause, die Freude am Kirchenbesuch, der Wunsch nach Erbauung und ein ziemlicher Grad religiösen Bedürfnisses, das in der Kirche und in der Liebe Nahrung sucht. Aus den Predigten nimmt sich die Mehrzahl gern etwas Betreffendes, mit dem Pastor findet Vertraulichkeit und Zutraun statt, und nicht selten sind die Gespräche über Kirche, Bibel und Religion.

Unter allen Gemeinegliedern ist mir sehr ehrenwerth der Pachter Ernst Peter mit seiner Frau Luise, geb. Koch, beide voll Liebe für ihre Kirche, voll christlicher Milde und Barmherzigkeit, fleißig, thätig anständig, gastfrei und ohne Falsch, so daß ich mit meiner Frau in der Familie viel frohe Stunden der Liebe, Freundschaft und Herzlichkeit genoß. Männer, deren Namen ich mit Freuden nenne, sind noch:
Georg Biermann, Christoph Becker, Friedrich Rupprecht, Martin Nickel, Carl Nickel, Conrad Rupprecht; sehr ehrenwerthe Frauen: Wittwe Heinrich Becker, und Frau Christoph Biermann (letztere durch Mildthätigkeit und Kirchenfleiß lobenswerth). Eine kluge Frau ist die Wittwe Blechschmid Jaritz, ein kluger Mann Ernst Cotte. Der Schulze Nickel ist ein fleißiger, sorgfältiger Mann und ein sehr sparsamer Verwalter des Gemeinevermögens, aber oft nicht genug energisch.

Worbiser Kreisblatt – vom Mittwoch, dem 20. September 1865

Zur Tagesgeschichte.
Aus dem preußischen Eichsfelde, 18. September.

Am gestrigen Tage feierte die vordem hannoversche Gemeinde Rüdigershagen das Jubelfest der vor 50 Jahren erfolgten Vereinigung mit der preußischen Monarchie, ein acht preußisches Fest, hervorgegangen aus dem acht preußischen Sinne der Gemeinde, schnell beschlossen und vorbereitet mit acht preußischer Rührigkeit, durch und durch in preußischem Festgewand und bis an’s Ende getragen von preußischem Geist. Wie Keiner zurückbleiben wollte, als es galt, die Straßen des Ortes mit Ehrenpforten, Guirlanden und schwarz-weißen Fahnen zu schmücken, so strahlten an dem festlichen Tage selbst Freude und Begeisterung aus Aller Augen und gar Mancher konnte die tiefe Bewegung seines Herzens nicht verbergen. Schon mit dem Dämmern des Tages, der mit warmer Luft und sonnigem Duft die schönen hinter dem Orte sich erhebenden Berge und das ganze Fest übergoß, schlug der Tambour die Reveille und weithin über das Eichsfeld erklangen Kanonenschläge, es ist nun einmal in uns Preußen und in unsern preußischen Festen immer etwas von der kriegerischen Natur.

Gegen l Uhr Mittags verkündeten Kanonenschüsse und ein gewaltiges Hurrah die Ankunft des Königl. Landraths Herrn Frantz, der der Bitte der Gemeinde, mit ihr das Jubelfest zu feiern, mit der größten Bereitwilligkeit entsprochen hatte, während der Königl. Superintendent Herr Dr. Schollmeyer leider amtlich verhindert war, persönlich dem Feste beizuwohnen, der Gemeinde indeß herzlichste Segenswünsche übersandt hatte. Schnell ordnete sich nun auf dem mit Tannenbäumen, Guirlanden und preußischen Flaggen reich geschmückten Hofe des Rittergutes der festliche Zug; der Schuljugend, die sich festlich mit Blumen bekränzt hatte, folgte das Musikchor; hinter diesem her ward von einem Garde-Landwehrmann die gütigst zur Disposition gestellte preußische Kreisfahne getragen; dieser folgte in langem Zuge der Herr Landrath, der Pfarrer, der Gutspächter, die Orts- und Kirchenvorstände, die aus den jungen Männern der Gemeinde gebildete Schützen-Compagnie, die festlich geschmückten Jungfrauen, viele Glieder der Gemeinde und gar mancher Gast mit preußischem Herzen.

Unter festlicher Musik bewegte sich der Festzug in die Kirche, in welcher andächtig die Ehre des Königs im Himmel gesungen ward, der Pfarrer auf Grund von PS. 103. V. l u. 2 von solchen Preußenjubels Wahrheit und Recht redete und einige Gebete aufstiegen für des theuren Königs und des lieben Preußenlandes Heil und Frieden. Unter den Klängen eines Marsches ging es nach dem Gutshofe zurück. Nach kurzer Pause sammelte und ordnete sich aufs Neue der Festzug und bewegte sich nach den Tönen des Düppelmarsches durch das ganze Dorf zu dem mit Linden bepflanzten und eine herrliche Aussicht bietenden Vogelberge hinauf.

In weiten gedrängten Kreisen umstand die festliche Menge die Stelle, von der nun kräftig und begeisternd geredet ward von der Hohenzollern Fürstenehre und Fürstentugend und von des Preußenvolkes Glück und Segensfülle. Der Herr Landrath wies in einer tief aus preußischem Herzen heraufgestiegenen Rede die Gemeinde darauf hin, wie Rüdigershagen sich wohl keineswegs unter dem Königlich Hannoverschen Scepter unglücklich gefühlt habe, wie auch der Steuern nicht weniger geworden wären, wie es aber an dem durch Preußens Könige geleiteten und mit ächter treuer Liebe zu ihrem Volke geförderten mächtigen Aufschwünge in materieller und geistiger Beziehung einen ganz besonderen Antheil bekommen habe und gar wohl ein Recht habe zu solchem preußischen Jubeln, wie es nun aber auch solches Jubels Frucht sein müsse, mitten in der das Preußenvolk jetzt durchziehenden Bewegung und besonders in dem politischen Parteitreiben unbeirrt und treu zu Preußens Könige zu stehen und damit für des Preußenlandes Heil und Wohlfahrt einzutreten; das sich nun anschließende Hoch auf des Königs Majestät wurde mit inniger und stürmischer Begeisterung ausgebracht, mit einer Gewehrsalve und Kanonenschüssen begleitet und mit dem Gesänge des Preußenliedes besiegelt. Es folgten nun weitere Hochs auf das liebe Preußenland und auf das preußische Kriegsheer ausgebracht vom Rittergutspächter Peter und dem Ortspfarrer Gaudig.

Sofort wurde nun, so wollte es die allgemeine preußische Begeisterung, durch telegraphische Depesche Sr. Majestät dem Könige Kunde von dieser preußischen Jubelfeier und aufs Neue das allerunterthänigste Gelöbniß unwandelbarer Treue und unverrückbaren Gehorsams gegeben. In den nun noch bis zum dämmernden Abend folgenden festlichen Stunden wechselten patriotische Unterhaltungen und Gesänge, Spiel und Tanz mit einander ab und noch manches Hoch schallte die Berge entlang, kräftig vor Allem das durch den Ortsvorstand dem Herrn Landrath ausgebrachte Hoch des Dankes. Der Herr Landrath gestattete es, daß noch einmal der Festzug sich ordnete und ihn nach dem Gute zurück begleiten durfte; ja das war der preußische Schritt, aus dem man den Pulsschlag der preußischen Herzen heraus hört; der das Ganze noch einmal zusammenfassende Schluß war ein nochmaliges Hoch auf das ganze Königliche Haus. Der Herr aber segne diesen Tag an der Gemeinde und lasse ihn eine Erquickung sein für viele preußische Herzen!


Nachschrift: Mit tief von Freude bewegtem Herzen haben wir noch zu berichten, daß des Königs Majestät die Gnade gehabt hat, auf telegraphischem Wege Allerhöchst Seinen Dank der Gemeinde Rüdigershagen kund zu thun. Auch soll es nicht vergessen sein, daß auch die früher Königl. Sächsische Nachbar-Gemein-de Zaunröden am gestrigen Tage das Jubel-Fest der Einverleibung in das preußische Land, wenn auch in stillerer Weise, so doch mit inniger Begeisterung und durch und durch preußischem Herzen gefeiert hat.

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